Projekt «Wisent Thal»
Die zotteligen Riesen sind im Jura eingetroffen!
In der Solothurner Gemeinde Welschenrohr ist der Startschuss für ein zukunftsweisendes Artenschutzprojekt gefallen: Hier will der Verein «Wisent Thal» untersuchen, ob sich der europäische Bison in der Schweiz wieder ansiedeln lässt. Am 15. September sind fünf junge Wisente aus dem Wildnispark Zürich Langenberg im Bezirk Thal eingetroffen.
Wäre es möglich, im Schweizer Jura wieder freilebende Wisente (Bison bonasus) anzusiedeln? – Genau diese Frage will der Verein «Wisent Thal» mit einer gut überwachten und betreuten Testherde klären. Nach langjährigen Vorbereitungen und Bewilligungsverfahren ist das Pilotprojekt definitiv gestartet.
Der Wildnispark Zürich unterstützt das Projekt «Wisent Thal»
Am Donnerstag, 15. September, haben Tierpfleger des Wildnispark Zürich Langenberg die ersten fünf Wisente nach Welschenrohr im Kanton Solothurn gebracht. Dort, im Bezirk Thal, befindet sich eine eingezäunte, derzeit rund 50 Hektar grosse Fläche für dieses ambitionierte Vorhaben. «Auch für uns war das ein emotionaler Moment», erklärt Martin Kilchenmann, Leiter Bereich Tiere im Wildnispark Zürich. «Wir freuen uns, als Partner des Vereins «Wisent Thal» ein Teil dieses einmaligen Artenschutzprojektes zu sein.»
Unter anderem wird der Wildnispark Zürich für die Tiere in Welschenrohr weiterhin die Dossiers in der internationalen Tierdatenbank führen und das Projekt in tierpflegerischen Belangen beraten. Der Wildnispark Zürich beteiligt sich mit seinen Tieren seit Jahren am Europäischen Erhaltungszuchtprogramm für Wisente. Ziel dieses Programms ist es, in Menschenobhut eine genetisch breite und gesunde Population zu erhalten, um für Auswilderungsprojekte die passenden Tiere zur Verfügung stellen zu können. Gleichzeitig braucht es geeignete Lebensräume, die erhalten und geschützt werden.
Wisent beinahe ausgestorben
1927 hat ein Wilderer im Kaukasus den letzten freilebenden Wisent erschossen. Nur ein Dutzend fortpflanzungsfähige Tiere blieb in europäischen Zoos übrig. Mittlerweile ist der Bestand des «europäischen Bisons» wieder auf über 8'000 Tiere angewachsen, doch die Tierart bleibt «potenziell gefährdet».
Da alle heute lebenden Wisente von den gleichen 12 Vorfahren abstammen, ist eine sorgfältige Zusammensetzung der Herde im Solothurner Jura wichtig. Die Tiere sollten eine möglichst breite genetische Basis aufweisen. Dazu stehen dem Zuchtprogramm die Stammbäume der Tiere und ergänzend genetische Analysedaten von Gewebeproben zur Verfügung.
Die Startherde im Solothurner Jura besteht aktuell aus einem Stier, drei Wisent-Kühen und einem Kalb. Die Weibchen sind Halbschwestern, die im Wildnispark Zürich Langenberg geboren wurden; der Stier stammt ursprünglich aus dem Tierpark Bruderholz in Winterthur und lebt seit Herbst 2021 im Tierpark Langenberg. Die ausgewachsenen Tiere sind alle zwischen drei und fünf Jahre alt und gelten damit noch fast als «Jugendliche». Wisentkühe können bis zu 24 Jahre alt werden, Stiere werden selten älter als 16 Jahre.
Das grösste Landsäugetier Europas
Der Wisent ist das grösste und schwerste Landsäugetier Europas. Er wird bis zu zwei Meter hoch und drei Meter lang. Ein ausgewachsenes Männchen kann über 800 Kilogramm schwer werden, Weibchen wiegen rund 550 Kilo.
Die Tiere besiedeln Misch- und Laubwälder mit feuchten Lichtungen und gut ausgebildetem Unterholz, Wald-Wiesen-Mosaike und Waldsteppen. Sie sind tag- und nachtaktiv und bilden Herden, die 5 bis 40 Individuen umfassen. «Als Verwandte des Hausrinds sind sie Wiederkäuer und fressen mit Vorliebe Blätter, kleine Triebe und Rinden», erklärt Martin Kilchenmann.
Durch ihren Nahrungsbedarf von bis zu 60 Kilogramm am Tag nehmen die Wildrinder Einfluss auf die Vegetation. Sie erhalten Wiesen und Heiden, indem sie diese vor der Verbuschung schützen. Im Wald sorgen sie für Lichtungen und Sonneneinstrahlung bis zum Boden. So leisten sie einen Beitrag zur Artenvielfalt und werden deshalb manchmal auch als «Landschaftsgärtner» bezeichnet.
Wisentherden als Gefahr für Wanderer oder Landwirte?
In den kommenden 5 Jahren wird eine wissenschaftliche Begleitgruppe die Nahrungswahl der Tiere und das Verhalten der Herde gegenüber Menschen, Vieh, und anderen Einrichtungen untersuchen und dokumentieren.
Während der ersten zwei Jahre leben die Tiere eingezäunt auf einem halben Quadratkilometer, danach wird das Gehege auf die doppelte Fläche erweitert. In dieser zweiten Phase führen auch einige Wanderwege durch die Anlage.
Erst 2027 wird entschieden, ob sich die Wisentherde künftig gänzlich frei und ohne Zaun im Jura bewegen darf. «Ich bin sehr gespannt auf die kommenden Jahre», erklärt Kilchenmann. Er sei dabei absolut ergebnisoffen. «Wenn die Gesellschaft entscheidet, dass Wisente nicht tragbar sind, müssen wir das akzeptieren, doch wenn der Versuch die Mehrheit überzeugen kann, dass es geht, und der Wisent hierzulande wie bereits in anderen europäischen Ländern wieder als Wildtier leben könnte, wäre das ein bemerkenswerter Schritt für den Artenschutz.»
Ausführliche Informationen zum Projekt finden Sie hier: www.wisent-thal.ch